Große Töne spucken, wie echte Politiker
Einmal wie richtige Politiker debattieren und in die Rolle des Heidelberger Gemeinderates schlüpfen. Genau diese Möglichkeit hatte die 10b im Rahmen einer Rathausdebatte unter der Leitung des Debating-Clubs Heidelberg. Für uns ging es am Freitag, den 16. Mai, um 8.30 Uhr zum Rathaus in den großen Rathaussaal, wo wir von ein paar Mitgliedern des Clubs empfangen wurden. Als Erstes führten uns die Mitglieder eine eigene Debatte vor, um uns ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie eine professionelle Debatte ablaufen soll. Hier nahmen wir schnell die Unterschiede zu einer normalen Diskussion wahr, wie wir sie meist in Unterrichtsstunden führen. Alle Rede- und Zeitabläufe waren deutlich geordneter als in der Schule. Danach wurden ausführlich der Aufbau, die Regeln und alles weitere Wichtige für eine Debatte besprochen. Zum Beispiel gibt es am Anfang und am Ende in einer Debatte eine geschützte Redezeit, in der der Redner ungestört sprechen darf. Dazwischen sind Rückfrage-Stellen und Zwischenrufe erlaubt. Doch der Redner kann eine Rückfrage auch ignorieren, da diese nur gestellt werden darf, wenn der Redner einen aufruft.
In einer Debatte gibt es jeweils drei Reden der Regierung, der Opposition und der freien Redner. Die Regierung stellt einen Antrag oder debattiert zu einem generellen Thema mit Pro-Argumenten. Die Opposition stellt die entgegengesetzte Meinung dar. Die beiden Fraktionen halten ihre ersten vier Reden, in denen es darum geht, ihren Standpunkt zu vertreten und zu erläutern, aber auch auf Gegenargumente einzugehen und diese zu entkräften. Dann kommen die freien Redner, sie halten kürzere Reden und ihre Aufgabe besteht vor allem darin, neue Argumente in die Debatte einzubringen. Dabei dürfen sie sich aussuchen, welche Meinung sie vertreten. Es müssen Argumente vorgebracht werden, welche noch nicht in der Debatte vorkamen. Die Debatte wird durch zwei Reden der beiden Fraktionen abgeschlossen, in denen beide nochmal ihren Standpunkt darlegen und die wichtigsten Argumente zusammenfassen.
Unsere Debattenfrage lautete: „Sollte die Europäische Union eine europäische Armee anstreben?“. Im Blick auf die heutige politische Lage ist diese Frage äußerst relevant, da Europa an einem sicherheitspolitischen Wendepunkt steht: Reicht die NATO als Schutz für uns aus oder sollten wir diese infrage stellen und zusätzlich eine Armee gründen? Können wir auf die USA als Verbündeten unter Donald Trump überhaupt noch zählen? Und falls nicht, ist die EU ohne die USA militärisch einsatzfähig? Andererseits: Woher die Ressourcen für eine eigene Armee nehmen? Und könnte ein militärisches Aufrüsten Europas vielleicht sogar als ein Angriff oder als eine Gefahr von den anderen Nationen, die nicht zu Europa gehören, angesehen werden? Könnte eine europäische Armee im schlimmsten Fall sogar zu einem Wettrüsten führen und den Frieden gefährden? Die Frage bleibt also: Gibt uns eine europäische Armee mehr Sicherheit und unterstützt sie unseren Frieden? Oder könnte sie zu Konflikten in unseren internationalen Beziehungen führen und statt Sicherheit Unruhe bringen?

Um dieses Thema gut debattieren zu können, wurden wir per Zufall in drei Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe bereitete getrennt voneinander ihren Standpunkt vor. Ein bisschen schwer fiel das manchen, da bis auf die Gruppe der freien Redner der Standpunkt der Fraktionen schon vorgegeben war. Doch da wir gemeinsam in der Gruppe nach Argumenten suchten, war am Ende jeder in der Lage, für die Meinung seiner Fraktion zu argumentieren. Das Spannendste war meiner Meinung nach, dass wir keine Recherche betreiben durften, was ein wenig ungewohnt war. Denn Ziel war, seine eigenen Argumente einzubringen und wirklich über die Frage nachzudenken, um auf Ideen zu kommen. Übertreiben und wilde Hypothesen aufstellen, um von seiner Meinung zu überzeugen, war also laut den Mitgliedern des Debating -Clubs völlig erlaubt. Und ganz wichtig: Immer auf seine Meinung und Argumente beharren, sogar, falls man während der Debatte merken sollte, dass sie doch nicht ganz so viel Sinn ergeben. Allerdings bereiteten wir in der Gruppe unsere Argumente nach einem bestimmten Schema so gut auf, dass wir in die Reden nur unsere schlüssigsten und besten Argumente einbrachten. State – Explain – Illustrate – Explain Relevance: Argument nennen, dieses und seine Kausalkette erklären, die Argumentation veranschaulichen und, nicht zu vergessen, erläutern, warum dieses Argument eine wichtige Bedeutung in der Debatte spielt.
In unserer Gruppe wählten wir dann jeweils drei Vertreter, die die vorbereiteten Reden im Namen der Gruppe hielten. Jeder nahm dann seinen Platz im großen Rathaussaal ein. Entweder bei seiner Fraktion oder auf den Publikumssitzen. Alle, die selbst keine Rede hielten, durften dann stille Observatoren werden und den Rednern zuhören, wie sie in die Rolle eines Politikers schlüpften. Hierbei ging es für sie ums Überzeugen! Das Auftreten, die Sprachkraft, die Interaktion mit den Zuhörern und Gegnern und natürlich die Argumente selbst waren hierbei der Schlüssel, um die Debatte zu gewinnen. Die Jury, welche aus den Mitgliedern des Debating-Clubs bestand, zog sich dann zurück, um zu entscheiden, wer die Debatte gewonnen hatte. Auch das Publikum durfte unabhängig von der Jury abstimmen, welche Seite sie am meisten überzeugen konnte. Es ergab sich im Publikum eine klare Tendenz für die Seite der Regierung, da ihre Redner die Argumente schlüssig vertraten. Und auch die Jury erklärte einen der Redner der Regierung (Maximilian Klüver) zum besten und überzeugendsten Redner unserer Klasse und der gesamten Debatte. Daher gewann die Regierung mit ihrem Standpunkt, dass Europa eine Armee gründen sollte, die Debatte.

Über seine Erfahrung in der Debatte berichtete Maximilian Klüver: „Ich fand‘s cool, mich einmal wie ein Politiker zu fühlen und mit den anderen zu diskutieren. Vor allem aber finde ich die Fragestellung spannend, da ich mir vorstellen könnte, dass in der Zukunft so eine Frage auch im Bundestag diskutiert wird.“
Es war spannend bei der Bewertung am Ende nicht nur auf die Meinung, die vertreten wurde, einzugehen und ob man dieser zustimmt, sondern die Debatte ganz neutral zu bewerten und sich nach dem Auftreten und der Urteilskraft zu entscheiden. Die Debatte war somit beendet und es ging für uns alle nach Hause, doch die Frage, die wir den ganzen Tag ausführlich durchgesprochen hatten, ist definitiv noch nicht fertig diskutiert und bleibt in unseren Köpfen.
von Noemi Franz (10b)