Menschen – einander ähnlich, „wie zwei Tropfen Wasser“ – Besuch der Holocaust-Überlebenden Anna Stryshkowa, ihrer Tochter Olga und Filmemacher Luigi Toscano im Thadden
Ursprünglich geplant als Filmvorführung mit dem Mannheimer Regisseur Luigi Toscano, entwickelte sich die Veranstaltung am Donnerstag, den 12.02.2025 zu einem eindrücklichen Erlebnis, denn der Heidelberger Fotograf und Filmemacher Max P-Martin, fragte an, ob der Termin vorverlegt werden könne, damit die Protagonistin und Holocaust-Überlebende Anna Stryshkowa und ihre Tochter Olga zu uns in die Thaddenschule kommen können. Schnell war klar: Diese Gelegenheit durfte nicht verpasst werden. Eingeladen waren alle Schüler*innen der Kursstufe 1 sowie die Scouts der „Ausstellung Gegen das Vergessen“ aus dem Jahr 2023 im Thaddenpark. Moderiert wurde die Veranstaltung von Davita Bitzel und Clara Schneider. Vor dem Filmstart begrüßte Max P. Martin, der Organisator der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ die Gäste und erklärte kurz die wichtigsten Ereignisse, die für den Film „SCHWARZER ZUCKER, ROTES BLUT“ von Bedeutung sind. Der Film erzählt von den Recherchen nach Annas Herkunft. Anna Strishkowa aus Kyjiw stand als Kleinkind am 4. Dezember 1943 an der Rampe von Auschwitz. Sie kannte weder die Namen ihrer Eltern noch ihren Geburtsort. Der Filmemacher Luigi Toscano traf Anna 2015 im Rahmen seines Projekts „Gegen das Vergessen“ in Babyn Jar. Seitdem lässt ihn Annas Schicksal nicht mehr los. Seine Spurensuche führte ihn von Auschwitz in das weißrussische Dorf Pronino, zum Lager Potulice-Lebrechtsdorf in Polen, nach Kyiv und Drohobytsch in der Ukraine und schließlich nach Unna in Nordrhein-Westfalen.
Im Anschluss an den Film war es dann so weit: Begleitet von zwei Dolmetscherinnen, die an der Uni Heidelberg und an der Uni Mainz in Germersheim Konferenzdolmetschen studieren, betrat Anna gemeinsam mit ihrer Tochter und Luigi Toscano den Alten Musikaal. Wie oft, war es am Anfang etwas still, doch wichtige Fragen folgten: „Eine neue Identität – wie ist das für Sie?“ Anna antwortete: „Zuerst hatte ich viele Zweifel, aber Luigi wollte es wissen. Auch meine Tochter Olga sagte: ‚Wir müssen das herausbekommen.‘ Es gab viele Hindernisse. Dann hat es geklappt, meine Nichten zu finden. Zuerst war ich schockiert, weil ich schon die Hälfte meines Lebens gelebt habe und es ist schwer, neue Verwandte zu finden. Zuerst haben wir uns angerufen und uns kennengelernt. Dank Luigi habe ich meine Verwandten getroffen. Am Anfang war das alles kalt – aber ich habe Wärme gespürt, als ich meine Nichten getroffen habe. Wir sind uns sehr ähnlich, wie zwei Tropfen Wasser.“
Eine weitere Schülerin fragte: „Haben Sie eine neue Identität angenommen, nachdem sie bekannt war?“ Anna antwortete: „Ich habe meinen eigenen Namen, wozu brauche ich einen neuen? Anna war mein Name. Ich habe aber mein Leben und sehe keinen Sinn, einen neuen Namen zu nehmen.“
Auf die Frage, wie es für ihn war, antwortete Luigi Toscano: „Ich war euphorisch. Ich wollte es herausbekommen. Aber es kommen schlechte und gute Nachrichten (Förderung, Drehgenehmigung). Ich war immer wieder verzweifelt, habe aber immer Hoffnung gehabt., dass es klappen kann – warum soll nicht mal einer die Nadel im Heuhaufen finden?“
Überraschend stellte dann Anna eine Frage an die Schüler*innen der Elisabeth-von-Thadden-Schule: „Ich möchte eine Frage stellen. Haben Sie das Ziel des Films verstanden? Ich möchte einen Hinweis geben. Es ist nicht nur die Geschichte eines Menschen. Wer möchte antworten?“ Eine Schülerin antwortete: „Sie waren nur eine Nummer, sie haben ihre Identität zurück.“ Eine Antwort, die für Anna passend war, die sie kurz mit „ja“ bestätigte
Spätestens jetzt wird deutlich: Anna hat viel mitzugeben, immer wieder blitzte auch ihr Humor durch und vor allem wurde deutlich, dass Mutter und Tochter eine ganz enge Verbindung haben. Heute verbinden die beiden Kriege (Zweiter Weltkrieg und Russlands Angriff auf die Ukraine) Mutter und Tochter, wie Olga sagte. Gemeinsam haben sie heute Angst, wenn Drohnen im Himmel fliegen, beide danken der Bundesregierung Deutschland für die Unterstützung.
Auf die Frage, was ihr wichtig ist, wenn sie mit Schüler*innen zusammentrifft, antwortete Anna: „Wer hat die Zukunft? Die Jungen haben die Zukunft. Ich möchte, dass sie über die Zukunft nachdenken können. Mein Leben ist teilweise vergangen.“ „Was können wir tun?“, war wiederum die Frage einer Schülerin, worauf Tochter Olga antwortete: „Die schwerste Sünde ist, neidisch zu sein. Deswegen sage ich: Neid ist schlimmer als Hass. Aus Neid folgen andere schlechte Konsequenzen.“
Obwohl schon über der Zeit, war für Schulpfarrerin Petra Erl aber noch eine Sache offen: „Sie haben gesagt, dass es Ihnen um die Gegenwart und die Zukunft geht. Warum haben sie Ihr Bundesverdienstkreuz zurückgegeben?“ Toscano antwortete: „Wir waren gerade in Potulice-Lebrechtsdorf in Polen, ein ganz kalter Ort. Dann kam es zur Abstimmung im Bundestag, als die CDU gemeinsam mit der AfD abgestimmt hat. Ich war wütend und habe mich hilflos gefühlt. Wollte etwas loswerden und etwas tun – es war eine Entscheidung aus dem Herzen! Für mich sind meine Werte und mein Demokratieverständnis wichtiger als das Kreuz. Mir war aber nicht klar, dass ich damit den Bundespräsidenten verletze. Aber für mich ist klar, er ist nicht mein Feind, er ist mein Freund.“
Am Ende der Veranstaltung reflektierten die Schüler*innen über das Erlebte. Mia Rieger: „Im Film, aber vor allem auch später im Gespräch, ist mir aufgefallen, was für eine unglaublich starke Frau sie ist und wie gut und reflektiert sie darüber reden kann. Ich fand es sehr spannend und auch eine tolle Gelegenheit, so direkt in Kontakt mit einer Holocaust-Überlebenden, aber auch mit Luigi Toscano zu kommen. Ich habe mich sehr gefreut, dass die beiden, bzw. die drei, alle Fragen so gut beantwortet haben, auch wenn diese ja ziemlich persönlich und auch teilweise zu schweren oder eben grausamen Themen waren.“
Josiah Bloss fügte hinzu: „Ich nehme von der Veranstaltung heute mit, dass es sehr wichtig ist, Dingen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern ganz im Gegenteil, sich der Realität zu stellen und Sachen aufzuarbeiten. Außerdem nehme ich mit, was für ein starker und faszinierender Mensch Anna wirklich ist. Ebenfalls habe ich mir Annas Worte während der Fragerunde gemerkt, wo sie gesagt hat, dass es an der Jugend, also an uns, liegt, welche Werte wir für die Zukunft wollen und welche Werte wir in Zukunft vertreten.“
Vertiefend Informationen zu den Recherchen und Anna Stryshkowas Biografie hier.
Informationen zum Masterstudium „Konferenzdolmetschen“ bzw. allgemein Übersetzen und Dolmetschen hier (Uni HD) und hier Uni Mainz). Hier der RNZ-Artikel zur Veranstaltung.












